Eine komplexe Wirklichkeit, erfordert komplexe Lösungen. Aus diesem Grund hat sich zum ersten Mal in der Bundesrepublik eine Dreier-Koalition auf Bundesebene gebildet. Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der FDP spiegelt nicht nur die aufgefächerte Realität des Wahlergebnisses und der Parteienlandschaft wider, sondern die drei Parteien aus unterschiedlichen Traditionen geben eine komplexe Antwort auf die Fragen unserer Zeit.
Die SPD vertritt in dieser Koalition besonders die Tradition sozialer Gerechtigkeit, der Gleichstellung und des Friedens. Dies zeigte sich bereits am Zukunftsprogramm, das von vielen SPD-Mitgliedern und Arbeitsgruppen gemeinsam erarbeitet wurde. Das Zukunftsprogramm ist der Hintergrund auf dem unsere Verhandlungserfolge im Koalitionsvertrag beruhen.
Vor mehr als 50 Jahren wurde mit Willy Brandt zum ersten Mal ein Sozialdemokrat Bundeskanzler und entsprechend hoffen wir auch, dass mit der Regierungsbildung der Ampel und Olaf Scholz als Kanzler ein erneutes „Jahrzehnt der Sozialdemokratie“ eingeleitet wird.
Dafür haben wir uns ein- und das haben wir durchgesetzt:
I. Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen
Für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben brauchen wir einen modernen und leistungsfähigen Staat. Deshalb werden wir unseren Staat einer notwendigen und nachhaltigen Modernisierung unterziehen. Dies gelingt nur mit einem starken öffentlichen Dienst. Die öffentliche Verwaltung wird dabei durch die Digitalisierung schneller, unbürokratischer und bürgernäher. Eine lebendige Demokratie braucht möglichst viele Menschen, die mitmachen. Vor allem wollen wir auch die Jüngeren in ihrem politischen Engagement stärken und aktiv an unserer Demokratie teilhaben – deshalb wollen wir das das Wahlalter auf 16 Jahre senken. Für die Lösungen der Zukunft brauchen wir kluge Köpfe. Für Forschung und Innovation braucht es gute Wissenschaft, die sich auf verlässliche und faire Arbeitsbedingungen stützen kann. Deshalb werden wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformieren und alternative Perspektiven zur Professur eröffnen.
II. Klimaschutz in sozial-ökologischer Marktwirtschaft
Bereits seit Willy Brandts berühmter Forderung im Wahlkampf 1961 „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“ gehört Umwelt- und Klimaschutz zu den sozialdemokratischen Themen. Im Wahlkampf sind wir angetreten Klimaschutzmit – einer starken Wirtschaft und guten Arbeitsplätzen – sozialgerecht zu gestalten. Hier haben wir im Koalitionsvertrag mit Bündnis 90/Die Grünen und der FDP viel erreichen können. Wir werden den Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg räumen. Um CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren, streben wir einen Kohleausstieg bis 2030 an. Aber es ist klar, dass dies nicht auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit gehen darf, deshalb werden wir die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis beenden und die höheren CO2-Preise nicht an die Haushalte weitergeben. Menschen brauchen Arbeitsplätze, Industrie und Handwerk brauchen dringend Fachkräfte, deshalb werden wir das duale System der beruflichen Ausbildung stärken, um beides zusammenzubringen.
Wir setzen auf die Schiene und den ÖPNV als die Verkehrsmittel der Zukunft. Die Bahn ist für uns das Rückgrat der Mobilität in Deutschland. Deshalb haben wir uns dafür stark gemacht, dass die Deutsche Bahn als integrierter Konzern in öffentlicher Hand bleibt.
III. Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt
Wir sind als SPD im Wahlkampf angetreten für Respekt vor der Lebensleistung, der Arbeit und den Menschen. Diese Grundüberzeugung hat die SPD mit deutlicher Handschrift in den Koalitionsvertrag geschrieben. Die Einführung des Mindestlohns von 12 € kommt. Von diesem Mindestlohn haben 10 Millionen Menschen in unserem Land direkt etwas und für alle die jetzt noch für 9,60 € arbeiten, bedeutet es eine Lohnerhöhung um 25%. Das ist Umverteilung durch Arbeit, die direkt bei den Menschen ankommt. Um die Würde des Einzelnen zu achten und ihn zur gesellschaftlichen Teilhabe zu befähigen, schaffen wir Hartz IV ab und führen das Bürger*innengeld ein. Das Bürger*innengeld wird eine bedingungsarme Grundsicherung sein, die in den ersten zwei Jahren das Vermögen unberührt lässt und die Angemessenheit der Wohnung anerkennt. Es wird den Menschen auf Augenhöhe begegnet, das Potential des Einzelnen und Hilfe stehen im Mittelpunkt, um schnell eine gute und passende Arbeit zu finden.
Nicht nur für Arbeit, sondern für gute Arbeit mit fairen Löhnen und zu anständigen Bedingungen sind wir angetreten und hierfür haben wir auch im Koalitionsvertrag gekämpft. Wir werden die Tarifautonomie, die Tarifpartner*innen und die Tarifbindung stärken. Denn Arbeitnehmer*innen wissen am besten, was sie brauchen und sollen in und mit den Gewerkschaften dafür eintreten können. Deshalb wird die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung in den Betrieben Offizialdelikt und damit von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Junge Menschen verdienen eine Chance zu zeigen, was sie können, und Deutschland braucht dringend Fachkräfte. Deshalb wird die jahrelang geforderte Ausbildungsgarantie jetzt umgesetzt. Im Einsatz für gute Arbeitsbedingungen und Planungssicherheit müssen die Kommunen, Länder und der Bund Vorbild sein und zeigen wie es geht. Deshalb wird im öffentlichen Dienst die Haushaltbefristung abgeschafft und im Bund sachgrundlose Befristungen Schritt für Schritt reduziert. Die gesamte Zeit in der Corona-Pandemie standen wir solidarisch mit den Pflegekräften – jetzt wird die Solidarität praktisch. Wir werden die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich schnell und spürbar verbessern.
Bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit. Wir haben uns mit unseren Vorgaben durchgesetzt und werden 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen, davon 100.000 öffentlich gefördert. Wichtig ist hier auch, dass wir durch serielles Bauen, Digitalisierung, Entbürokratisierung und Standardisierung die Kosten und damit die Mieten für Neubauten senken werden. Um Mieter*innen nicht allein zu lassen bis sich die Märkte durch den Neubau entspannen, werden wir die Mietpreisbremse bis 2029 verlängern.
IV. Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben Lang
Die Kindergrundsicherung kommt. Sie soll Kinder besser vor Armut schützen. Ein Teil davon soll garantiert und einkommensunabhängig ausgezahlt werden, bei Volljährigen soll er direkt an die Anspruchsberechtigten gehen. Dazu kommt ein vom Elterneinkommen abhängiger, gestaffelter Zusatzbetrag.
In den Bereichen Bildung und Arbeitsmarktpolitik wird sich mit der neuen Regierung einiges bewegen. Geplant ist eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht und schon lange von den Gewerkschaftsjugenden gefordert wurde.
Zudem ist eine BAföG-Reform geplant, um die Bildungs- und Berufschancen junger Menschen nachhaltig zu verbessern. Dabei soll auch das BAföG elternunabhängiger werden, denn häufig sind Konflikte mit den Eltern für Studierende eine Hürde bei der Beantragung von Ausbildungsförderung.
In der letzten Legislaturperiode haben wir bereits den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung auf den Weg gebracht, der ab 2026 ab der ersten Klasse gilt und dann jährlich ausgebaut werden wird. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dafür den Ausbau der Ganztagsangebote mit besonderem Hinblick auf gute Qualität voranzutreiben, dafür schaffen wir gemeinsam mit Kommunen und Ländern einen gemeinsamen Qualitätsrahmen.
Ein geplanter „Digitalpakt Schule“ hat zum Ziel, die Digitalisierung des Bildungswesen zu beschleunigen und die dafür notwendige Hardware zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich müssen dazu auch Lehrer*innen in Sachen digitaler Bildung auf den neuesten Stand gebracht werden.
V. Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie
Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Es muss gewährleistet sein, dass Frauen sich barrierefrei im Internet darüber informieren können, wo und mit welchen Methoden in ihrer Region Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden können. Daher streichen wir das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen, den § 219a StGB. Um das Recht von Frauen zum Schutz vor Gewalt effektiver zu schützen, werden wir die Istanbul-Konvention vollständig umsetzen, indem wir diesen Arbeitsbereich mit einer eigenen Koordinierungsstelle ausstatten.
Rechtsextremismus ist eine der größten Bedrohungen für unsere Demokratie. Die Arbeit zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus wird daher inhaltlich weiterentwickelt und finanziell nachhaltig abgesichert werden. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise die geplante Stärkung der Kompetenzen der Antidiskriminierungsstelle positiv hervorzuheben.
Wir reformieren das Staatsangehörigkeitsrecht. Dafür werden wir den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfachen. Das bedeutet, dass es für Migrant*innen schon nach drei bis fünf Jahren möglich sein kann, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Auch Mehrfachstaatsangehörigkeiten sollen möglich werden.
VI. Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt
Leitlinien sozialdemokratischer Europa und Außenpolitik bleiben unverändert Solidarität, Dialog und Frieden. Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb beschlossen, den Dialog zur europäischen Einigung mit der Perspektive eines föderalen europäischen Bundesstaats voranzubringen. Wir setzen uns nicht nur anhand unserer Leitlinien für ein echte Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa ein, sondern werden in der Europäischen Union Tarifautonomie, Tarifpartner und Tarifbindung stärken sowie die sozialen Sicherungsmechanismen. Europa soll und muss hier ein Vorbild werden und mit europäischen Standards Maßstäbe für globale Regelwerke setzen.
Wir werden die Freizügigkeit in Europa wiederherstellen. Ausnahmeregelungen hiervon werden erschwert und nur in Absprache mit den europäischen Partnern erlaubt. Nur ein Europa ohne Grenzen kann zusammenwachsen und die Herausforderungen der Zukunft bewältigen. Die Europäische Union muss sich ihrer Verantwortung in der Welt stellen. Deshalb bestehen wir im Koalitionsvertrag darauf, dass die zivile Seenotrettung nicht behindert werden darf. Es ist eine zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung, Menschen nicht ertrinken zu lassen. Wir werden die Ursachen von Flucht angehen, damit Menschen in Sicherheit und Würde leben können. Wir werden Schleuserkriminalität und Ausbeutung auf Fluchtwegen bekämpfen und streben eine grundlegende Reform des europäischen Asylsystems an.
In der Migrations- und Integrationspolitik haben wir im Koalitionsvertrag einen Paradigmenwechsel vollzogen, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird. Wir übernehmen Verantwortung, sodass wir Migration vorausschauend und realistisch gestalten. Integration bedeutet eine möglichst schnelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, daher fördern und verstetigen wir alle Mittel die eine schnelle Arbeitsaufnahme ermöglichen.
Abrüstung ist ein sozialdemokratisches Kernanliegen, weshalb wir uns im Koalitionsvertrag dafür stark machen, dass Deutschland eine führende Rolle bei der Stärkung internationaler Abrüstungsinitiativen einnimmt und eine restriktive Rüstungsexportpolitik auf EU-Ebene umgesetzt wird.
VII. Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen
Wir müssen in die Zukunft investieren, um den nachfolgenden Generationen eine intakte Welt in Wohlstand hinterlassen zu können. Hierzu braucht es eine solide Finanz- und Haushaltspolitik. Wir werden die Finanzen des Bundes stärken, indem wir Steuerhinterziehung aggressiv bekämpfen und eine globale Mindeststeuer einführen. Denn wer am meisten von unserer Gesellschaft profitiert, soll auch am meisten dafür zahlen. Einen weiteren Spielraum werden wir schaffen, indem wir überflüssige und klimaschädliche Subventionen abbauen. Die Zukunft wird vor Ort in den Kommunen gestaltet. Deshalb brauchen wir starke und handlungsfähige Kommunen.
In einer einmaligen Kraftanstrengung des Bundes und der Länder werden wir die Kommunen von Altschulden befreien. Viele Kommunen, gerade auch in NRW, haben hohe Altschulden, die aus den Zeiten des Strukturwandels in der Region stammen und nicht mehr alleine bewältigt werden können. Der Ausgleich der Haushalte wird ihnen wieder mehr Handlungsfähigkeit ermöglichen. Unser Ziel sind leistungsfähige Kommunen mit einem hohen Maß an Entscheidungsfreiheit vor Ort, eine verlässliche öffentliche Daseinsvorsorge, eine starke Wirtschaft und eine engagierte Zivilgesellschaft.
Ein Koalitionsvertrag ist immer ein Kompromiss – das gehört zur Wahrheit dazu. Ich hätte mir eine Steuerreform erhofft, die mehr soziale Gerechtigkeit schafft; eine Bürger*innenversicherung, die endlich eine Zweiklassenmedizin abschafft; eine Grundsicherung, die ohne Sanktionen auskommt – ein Tempolimit von 130, ein Ende der Fallpauschalen in der Krankenhausfinanzierung…
Bei allem, was fehlt und hätte mehr oder besser sein können, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, was wir erreicht haben, was wir in den nächsten Jahren umsetzen werden, damit es den Menschen in Dortmund und Deutschland besser geht.
Das sozialdemokratische Jahrzehnt hat erst begonnen und wir werden weiter kämpfen für noch mehr sozialdemokratische Politik, für mehr Gerechtigkeit und mehr Respekt.